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I WOULD PREFER NOT TO | zurück zu Ausstellungen

 

Videos von Judith Hopf, Christian Jankowski, Anna McCarthy, Alexandra Navratil, Anri Sala, Clea Stracke & Verena Seibt, Veronika Veit und Anna Witt.

Kuratiert von Christian Hartard. Im Rahmenprogramm des Festivals Kino der Kunst.
19. April – 25. Mai 2013, Galerie Esther Donatz, München

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Dokumentation (PDF, 12 MB) | Pressetext der Galerie | Website der Galerie

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Besprechung:
Süddeutsche Zeitung, 16. Mai 2013

Soll es das gewesen sein? Oder kommt da noch was? Der Druck, der Drill, die Disziplinierungen des Alltags erzeugen ein diffuses Gefühl des Unbehagens. Ein Aufstand müsste her – wenn man nur wüsste, wogegen; oder gar: wofür. So ungreifbar der Gegner bleibt, so vage und privat bleiben die Abwehrstrategien: Ironie, Verweigerung, Rückzug, Scheitern. Sie werden zu persönlichen Gesten, die wirkungslos verpuffen. Will ich Euer Spiel mitspielen? Eigentlich lieber nicht. Aber welches dann, wenn selbst mein Widerstand zu Eurem Spiel gehört?

I would prefer not to – Ich möchte lieber nicht: In Herman Melvilles Erzählung Bartleby, der Schreiber (1853) ist es der Aktenkopist Bartleby, der mit diesem Satz höflich, aber dennoch unmissverständlich die Erledigung seiner Aufgaben ablehnt. Bartlebys Lebensweg endet tragisch, als er schließlich, ins Gefängnis eingeliefert, selbst die Nahrungsaufnahme verweigert. Eine schöne und zugleich traurige Parabel darüber, wie sich einer aus den Widrigkeiten des Lebens, der Gesellschaft, der Zeit entzieht – radikal, aber eben auch, ohne tatsächlich etwas an den Dingen zu ändern.

Unter dem von Melville geborgten Titel erzählt die Ausstellung I would prefer not to von den kleinen, banalen Widerständen, vom Neinsagen, von der Rebellion der kleinen Münze, die plötzlich aufblitzt und wieder in sich zusammenfällt. Das Ausbrechen aus den Ordnungszwängen der eigenen Biographie wird angedeutet – und versandet.

 

WERKE

Judith Hopf: Some End of Things: The Conception of Youth (2011)

Als riesiges Ei kostümiert, etwas hilflos und tappsig: so schickt Judith Hopf ihren Darsteller durch ein modernes Gebäude aus Stahl und Glas. Das Runde soll ins Eckige, aber das will nicht recht funktionieren. „Das Ei (…) ist wirklich fehl am Platze. Es passt nicht durch die Tür und nicht ins System. Ein zartes und doch machtvolles Bild für Nicht-Kompatibilität, Andersartigkeit – für ein Einzelnes, Besonderes in einer genormten Umgebung.“ (Deutschlandradio)

Judith Hopf (*1969 in Karlsruhe) war 2012 Teilnehmerin der documenta 13.

 

 

 

Christian Jankowski: Angels of Revenge (2006)

„Für das Projekt Angels of Revenge stellte Jankowski auf einer Horrormesse in Chicago den Teilnehmern eines Wettbewerbs, bei dem das beste Horrorkostüm prämiert wurde, die Frage: Welcher Mensch hat Ihnen in Ihrem Leben das schlimmste Unrecht angetan, und welche Rachephantasie hegen Sie? Das Ergebnis ist grotesk und berührend und sehr traurig: Man sieht blasse, mit dünnen Stimmen gefährliche Monster imitierende Angestellte, die ihrem Boss die Pest wünschen; man sieht Frührentner mit schlechten Werwolfmasken auf die Kamera zurennen und böse Flüche zischen, weil sie verlassen wurden, und bei alledem ruft der ganze kunstbluttriefende Plastikmaskenschrott nur: Warum, verdammt noch mal, liebt ihr mich denn nicht?“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Christian Jankowski (*1968 in Göttingen) wurde 2013 mit dem Preis der Videonale ausgezeichnet.

 

 

Anna McCarthy: Bored Rebel in Moosach (2010)

Anna McCarthy verfolgt die kleinen Alltags-Rebellionen ihres Vaters: ohne Helm fahrradfahren; eine Lederjacke tragen; gegen eine Mülltonne treten – aber so zaghaft, dass sie gerade doch nicht umfällt. Im Park bellt er Passanten an; ein paar Enten fliegen erschrocken auf. Herr McCarthy ist zufrieden: „I gave those ducks a fright!“. Die Revolution endet ordnungsgemäß vor Einbruch der Dunkelheit.

Anna McCarthy (*1981 in München) arbeitet seit mehreren Jahren an dem multimedialen Projekt How to Start a Revolution, das in unterschiedlichen Institutionen von München bis London ausgestellt wurde. Bored Rebel in Moosach ist Teil dieser Reihe.

 

 

Alexandra Navratil: The Extra (2007)

Die subtilen Ausbrüche, die der Protagonist in Alexandra Navratils Video sich erlaubt, finden ausschließlich auf mimischer Ebene statt: gefangen in einem grotesken Spiel mit seinem multiplizierten Spiegelbild, verharrt er in der Endlosschleife von vorsichtig gewagter Individualität und permanenter Selbstkontrolle.

Alexandra Navratil (*1978 in Zürich) ist zweifache Trägerin des Swiss Art Awards. 2013 zeigt sie eine Einzelausstellung im Kunstmuseum Winterthur.

 

 

 

Anri Sala: Naturalmystic (tomahawk #2) (2002)

Ein Mann betritt ein leeres Tonstudio und nimmt vor einem Mikrophon Platz. Doch statt zu singen, imitiert er das bedrohliche Geräusch einer näherkommenden und explodierenden Tomahawk-Rakete. Die Gewalt, die alles in Schutt und Asche legt, ein für allemal aufräumt mit allem, ist beängstigend real und bleibt dennoch eine akustische Täuschung.

Anri Sala (*1974 in Tirana/Albanien) war 2012 Teilnehmer der documenta 13.

 

 

Verena Seibt und Clea Stracke: Alles in Ordnung (II) (2010)

Ein moderner Don Quixote im ewigen, aussichtslosen Ringen mit einem unfassbaren Gegenüber: „Ein Teppich, ein Stuhl, ein Schreibtisch, davor ein möbelartiges Gerät. Am Schreibtisch ordnet ein seriös anmutender Herr sorgfältig seine Schreibutensilien und Papiere. Dann, unerwartet plötzlich: Lärm setzt ein, das möbelartige Gerät erweist sich als tosende Windmaschine.“ Die mühsam hergestellte Ordnung wird in einem wirbelnden Orkan zunichte, die „Blätter wirbeln durch die Luft (…) – weiß wie ein Möwenflügelschwarm, wie ein Schneegestöber, wie fallende Kirschblüten – taumelnd, tanzend, zeitentrückt.“ Kaum legt sich der Sturm, wird das Chaos gesichtet, werden Papiere aufgelesen, gesammelt, neu sortiert. Der Kampf gegen die Windmühlen beginnt von vorn.

Verena Seibt (*1980 in Dachau) & Clea Stracke (*1982 in Berlin-Tempelhof) wurden 2012 mit dem Bayerischen Kunstförderpreis und 2013 mit dem Ringenberg-Stipendium der Kunststiftung NRW ausgezeichnet.

 

 

 

Veronika Veit: Die Faust (2010)

Die Faust evoziert das Bild einer Kindheit, geprägt von Gehorsam und Disziplin: In eine scheinbar harmlose, alltägliche Szene zwischen Mutter und Tochter mischt sich eine seltsame Spannung. Für einen Moment liegt sie drohend in der Luft, dann entlädt sie sich in einem unvermittelten Ausbruch der Mutter. Doch so plötzlich die Geschichte ins Gewalttätige kippt, so schnell gewinnt die Maske des Alltags wieder die Oberhand. Die Mutter hat alles im Griff: sich – und die kleine Welt ihres Kindes.

Veronika Veit (*1968 in München), Trägerin des Bayerischen Kunstförderpreises 2006, hat ihre Werke in nationalen und internationalen Institutionen vielfach ausgestellt, zuletzt bei einer Schau in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.

 

 

Anna Witt: Gleitzeit (2010)

Passanten wurden von der Künstlerin gebeten, für ein symbolisches Honorar mit erhobener Faust vor der Kamera zu posieren – wie lange, war den Teilnehmern selbst überlassen. Damit wird nicht nur die historische Geste aus der Arbeiterbewegung zu einer leeren, dem marktwirtschaftlichen Dienstleistungsgedanken unterworfenen Pose; die Eigenbestimmung über die investierte Zeit führte die Protagonisten auch in das moralische Dilemma, einschätzen zu müssen, welcher Aufwand den Ansprüchen und der Bezahlung angemessen ist.

Anna Witt (*1981 in Wasserburg/Inn) war 2010 Teilnehmerin der Berlin Biennale und erhielt 2012 den Bayerischen Kunstförderpreis.