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ENDLOSSCHLEIFEN. LEBEN IM LOOP | zurück zu Ausstellungen

 

Gruppenausstellung mit Robert Barta, Olga Chernysheva, Sandra Filic, Claudia Kugler, Alexander Laner, Angelika Middendorf, Alexandra Navratil, Michael Schrattenthaler, Nadim Vardag, Franz Wanner.

Kuratiert von Verena Seibt und Christian Hartard.
6. November – 5. Dezember 2009, lothringer13_laden, München

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Pressetext | Raumplan | Dokumentation

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Besprechungen:
Süddeutsche Zeitung, 17. November 2009

ART (Onlineausgabe), Tipp der Woche, KW 45

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Endlosschleifen sind in sich selbst zurücklaufende Prozesse: Loops, die uns unerbittlich dorthin bringen, wo wir schon einmal waren; Rekursionen, die Bekanntes ohne sichtlichen Fortschritt vorführen und vorführen und vorführen – Stillstand trotz Bewegung.

Endlosschleifen sind „Gefängnis(se) in der Zeit“. Andererseits ist es gerade die „Abwesen­heit eines Ziels und eines Grunds“, die „die Abwesenheit instrumentellen Denkens“ garan­tiert (Diedrich Diederichsen). Der Rückzug in den sozialen Loop ist deshalb nicht zwangs­läufig ein Versinken in der Banalität des Alltags, sondern auch eine Verweigerungsgeste ge­genüber dem Imperativ des Wachstums, der Entwicklung und der ständigen Verschöne­rungsarbeit an der eigenen Biographie.

Endlosschleifen. Leben im Loop behandelt das Gefühl des tatsächlichen und des scheinbaren Leerlaufs; das Festfrieren der Zeit; das Drehen um sich selbst; und die Suche nach Zielen – oder nach Fluchtpunkten.

Rahmenprogramm

Ewig währt am längsten. Von wandernden Totpunkten und stehenden Endlosschleifen. Vortrag von Harry Walter // nirgends ein ende anfänge dauernd und immer wieder von vorn. Lesung mit Nikolai Vogel und Olaf Probst // Von Escher zu Einstein. Zur Mathematik endloser Schleifen und ihren physikalischen Freunden. Vortrag von Dr. Klaus Linde // Elektroloops. Musikalische Schleifen mit „_r“ aka Volker Rommel 

 

KÜNSTLERISCHE UND DOKUMENTARISCHE BEITRÄGE

Frank Bunker Gilbreth: Bewegungsstudie 
Photographie um 1920

Zur Standardisierung von Arbeitsprozessen filmte Gilbreth Arbeiterinnen, denen er kleine Leuchten an den Händen befestigt hatte, bei ihren typischen Tätigkeiten. In der Langzeitbelichtung ergaben sich charakteristische Muster von Bewegungsabläufen, die nun vereinfacht und beschleunigt werden konnten. Der Mensch als Individuum verschwindet, nur die Spur seiner Arbeit bleibt übrig: als ermüdende Endlosschleife.

Frank B. Gilbreth (1868-1924) ist vor allem durch seine Bewegungsstudien bekannt geworden, in denen er mittels Filmaufnahmen und Photographien verschiedenste manuelle Tätigkeiten untersuchte. Gilbreth definierte 17 motorische Grundelemente, auf die sämtliche menschlichen Bewegungen zurückzuführen seien, und versuchte dann, durch ihre Reduzierung auf das unbedingt erforderliche Minimum optimale Abläufe zu entwickeln. Obwohl Gilbreth weniger die Steigerung der Produktionsleistung denn die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt seiner Forschungen stellte, gilt er neben Frederick Winslow Taylor als einer der Väter einer Unternehmensphilosophie, die den Mitarbeiter nicht als Person, sondern als austauschbaren Teil der betrieblichen Maschinerie versteht.

 

 

Franz Wanner (München): Roulette Polar
Video (16mm digitalisiert), 3 min, 2007

Amerika, dreißig Jahre nach Gilbreth: eine andere Zeit, dieselbe Fortschrittsgläubigkeit. Die auch durch den Zweiten Weltkrieg nicht gebrochene naive Hoffnung auf ein grenzenloses Wachstum von Wissen, Wohlstand und Wohlergehen karikiert Franz Wanner, indem er Auszüge aus einer amerikanischen Wissenschaftssendung der 1950er-Jahre durch Neuschnitt, Re-Synchronisation und Untertitelung zu einer absurden spiritistischen Sitzung verwandelt.

Franz Wanner (*Bad Tölz 1975) studierte bei Res Ingold an der Akademie der Bildenden Künste München.

 

 

 

Robert Barta (Berlin): Time Machine XXL 
Aluminium, Spanplatte, Motor, Netzgerät, Modelleisenbahn, 2009

In seinem Roman The Time Machine von 1895 entwirft H. G. Wells, fasziniert von den technischen Fortschritten seines Zeitalters, die Utopie einer Welt, in der nicht nur räumliche, sondern auch zeitliche Distanzen durch bloße Maschinenkraft mühelos überwindbar sind. Ein solches zukunftsoptimistisches Vertrauen in die Allmacht technischer Apparaturen kommentiert Robert Barta ironisch mit einem hintergründigen Versuchsaufbau: Eine kleine rote Spielzeuglokomotive fährt einen Schienenstrang entlang, der auf einer gegenläufig rotierenden Scheibe befestigt ist – und kommt nicht vom Fleck. Alles bewegt sich, und dennoch steht alles still. Die Verdopplung von Geschwindigkeit beschleunigt nicht die Zeit, sondern löscht sie aus.

Robert Barta (*Prag 1975) studierte an der Akademie der Bildenden Künste München und am San Francisco Art Institute.

 

Michael Schrattenthaler (München): Schwarz und süß 
Bücher, Kaffeetasse, Motor, Elektronik, 2006

Als sei sie ein übersehenes Relikt der Aufbauarbeiten, steht Michael Schrattenthalers Kaffeetasse im Fenster der Galerie. Erst auf den zweiten Blick schleichen sich Irritationen ein: ein nervöses Zucken im Sekundentakt, das leise Klappern des Löffels – die Tasse dreht sich, wie eine tickende Uhr.

Michael Schrattenthaler (*Kufstein 1971) studierte bei Olaf Metzel an der Akademie der Bildenden Künste München. 2006 erhielt er den Bayerischen Kunstförderpreis.



 

 

 

Sandra Filic (München): Loop
Toninstallation, 2006 / 2009

Sandra Filic` Toninstallation bestimmt den Raumsound der Ausstellung: das Knistern und Rauschen einer leerlaufenden, springenden Schallplatte.

Sandra Filic (*Nasice / Kroatien 1974) studierte bei Magdalena Jetelova an der Akademie der Bildenden Künste München.

 

 

Angelika Middendorf (Berlin): WESTITIS 
Videos, je 2:52 min im Loop, aus der Serie Treadmills, 2005

Schritt, Trab, Galopp, Schritt, Trab, Galopp, ein Pferd und ein Kamel auf dem Laufband: der vordergründig witzige Wettlauf zwischen Orient und Okzident wird im Lauf der Zeit zum ausweglosen Drill.

Angelika Middendorf (*Kurrick 1964) studierte an der Kunstakademie Münster, später bei Katharina Sieverding an der Universität der Künste Berlin, bei Christan Boltanski an der École Nationale Supérieure des Beaux Arts Paris und bei Valie Export an der Kunsthochschule für Medien Köln. 2000 / 2001 war sie Artist in Residence am P.S.1 New York, 2006 erhielt sie den Videokunstförderpreis Bremen.

 

 

 

Nadim Vardag (Wien): Zoetrop 
Video, 0:02 min im Loop, 2009

Das Zoetrop, ein 1834 von William George Horner erfundenes optisches Gerät, zählt zu den ältesten Vorläufern des modernen Filmprojektors. Seine drehbare Trommel ist mit Sichtschlitzen perforiert, durch die der Betrachter auf die Bilder blickt, die im Innern des Zylinders angebracht sind und je einzelne Phasen einer kurzen Bewegungssequenz darstellen. Wird das Zoetrop in Rotation versetzt, entsteht durch das schnelle Vorbeiziehen der Schlitze vor dem Auge ein ständiger Wechsel von Seheindruck und Dunkelheit, der die Einzelbilder zu einer fließenden Animation verschmilzt. Mittels eines kleinen Tricks kehrt Nadim Vardag dieses kinematographische Grundprinzip um: er benutzt als Basis seines Videos die Photographie eines historischen Zoetrops, in dem kleine, aus Gips modellierte Tauben zum Leben erweckt wurden; indem der Künstler diese statische Vorlage mehrfach reproduziert und zu einem filmischen Loop zusammenfügt, dabei aber jeweils neun der ursprünglich zehn Plastiken wegretuschiert, scheint der Vogel nun wie in einer Manege im Kreis zu fliegen – das Zoetrop selbst steht still. Damit ist Nadim Vardags in der Filmmaschine gefangene Taube nicht nur eine ikonographisch dichte Metapher für den Dualismus von Freiheit und Zwang, sondern gleichzeitig eine höchst intelligente Hommage an das Kino und die Magie der bewegten Bilder.

Nadim Vardag (*Nürnberg 1980) studierte an den Akademien der Bildenden Künste in Nürnberg und Wien. 2009 erhielt er den BC21 Art Award.

 

 

Claudia Kugler (Berlin): Spot 1 
Video (Rückprojektion), 0:15 min im Loop, 2006

Wie ein Radar streift ein regelmäßig wiederkehrender Lichtkegel die Bildfläche und tastet die Wände eines imaginären Raums ab, der für einen kurzen Moment hinter der Projektionswand aufzublitzen scheint – und wieder verschwindet.

Claudia Kugler (*Auerbach 1969) studierte an der Fachhochschule Nürnberg und der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. 2005 war sie Stipendiatin der Akademie Solitude Stuttgart.

 

 

Alexander Laner (München): Viva Las Vegas
Leuchtmittel, Motor, Halterung, 2008

 

Die Relikte der Spaßgesellschaft – glitzernde, flirrende Fertigfabrikate einer simulierten Wirklichkeit – rotieren nutzlos um sich selbst. Das Spektakel ist auf seine sinnentleerte Oberfläche zurechtgestutzt, die Party vorbei, das Publikum verläuft sich. Das echte Leben könnte beginnen.

Alexander Laner (*München 1974) studierte bei Olaf Metzel an der Akademie der Bildenden Künste München. 2004 war er Stipendiat der Villa Romana in Florenz.

 

 

Alexandra Navratil (Amsterdam): Movie-Goer
Video, 12 min, 2006

 

Alexandra Navratil (*Zürich 1978) studierte an der Hochschule für Kunst und Design Zürich, dem Central St. Martins College of Art and Design London und dem Goldsmiths College London. Sie erhielt Residencies am HANGAR / Barcelona, am Irish Museum of Modern Art Dublin und am ISCP in New York. 2009 war sie Preisträgerin des Swiss Art Award und des Prix Mobilière Young Art.

 

 

Olga Chernysheva (Moskau): Windows
Videoinstallation mit sieben (von insgesamt 16) Videosequenzen, 2007

 

Heimliche Blicke in die Fenster gegenüber, hinter denen sich kurze Sequenzen banaler Alltagssituationen endlos wiederholen: das Leben der Anderen erscheint fremd und zugleich auf beunruhigende Weise vertraut – weil es unser eigenes sein könnte.

Olga Chernysheva (*Moskau 1962) studierte am Staatlichen Institut für Kinomatografie Moskau und an der Rijksakademie van Beeldende Kunsten Amsterdam. Einzelausstellungen u.a. im Russischen Pavillon der 49. Biennale von Venedig (2001), im Staatlichen Museum / St. Petersburg (2004), am Institute for Contemporary Art (ICA) / London (2009) und im Tresor (Bank Austria Kunstforum) / Wien (2009).